Ein Brotbackbuch, das Laien mit einer einfachen Methode sensationelle Ergebnisse verspricht? Nach dem Motto: Es werde Brot und es ward Brot? Wer den Schritt vom ungläubigen Staunen zum Selbstversuch wagt, erkennt: Nichts einfacher als das!
Und wieder halte ich ein Brotbackbuch in den Händen. Lutz Geißlers „Brot backen in Perfektion“ allerdings lässt mich bei vielen Anleitungen und Angaben an meinem Sachverstand zweifeln. Und was ist denn dieses „Plötz-Prinzip“? Etwa so: Ich rühre etwas zusammen und plötzlich habe ich Brot? Um das Ergebnis meines konstruktiven Misstrauens vorwegzunehmen: Mit diesem Buch kann jeder, der Mehl in eine Schüssel kippen kann, auch Brot und Brötchen backen. Ehrlich! Und das Ganze absolut entspannt, mit dem geringsten Arbeitsaufwand aller Zeiten. Ich habe für neun leckere Brötchen summa summarum nicht länger als eine halbe Stunde in der Küche herumgewerkelt – und das auch noch auf 24 Stunden verteilt. Meine „Goldstücke“ haben eine knackige Kruste und eine mittelporige Krume, die dazu verleitet, wie weiland in der Kinderzeit das Innere mit dem Finger herauszupulen. Weit entfernt von den puffigen Luftbomben, die man heutzutage nach Hause trägt! Allerdings auch weit entfernt von den misslungenen Experimenten, die wohl jeder von uns Laien von seinen ersten Versuchen kennt, selbstgebackene Brötchen auf den Tisch zu bringen.
Erschienen ist das Buch „Brot backen in Perfektion – Das Plötz-Prinzip! Vollendete Ergebnisse statt Experimente“ im Becker Joest Volk Verlag. Die sehr ansprechenden, regelrecht „duftenden“ Fotos stammen von Hubertus Schüler. Die gebundene Ausgabe mit Schutzumschlag hat 192 Seiten und kostet 29,95 Euro. Wer sich anfangs über die zwei Lesebändchen wundert, merkt schnell, wie praktisch diese Verlagsidee ist: eins kommt zur Seite mit dem Rezept und eins zu der mit der Standardanleitung. Drei Lesebändchen wären perfekt gewesen: eins noch zur Seite mit den Arbeitsschritten. Lutz Geißler verspricht mit seiner einfachen Methode sensationelle Ergebnisse, ganz ohne professionelles Equipment. Ein normaler Ofen und handelsübliches Mehl genügen, um aus einem Grundteig über 70 Klassiker wie Baguettes und Brötchen, Weizen- und Mischbrote, Pizza und Focaccia zu backen. Schritt-für-Schritt-Anleitungen garantieren, dass mit diesem Buch aller Anfang leicht gemacht wird.
Ich habe also dieses Buch in der Hand und schon auf den Umschlagseiten 2 und 3 irritieren mich eine Menge unterschiedlich großer Kreise, neben denen Gramm-Zahlen stehen. Auf den hinteren inneren Umschlagseiten das Gleiche. Kornkreise? Nein, kein Mysterium, sondern sehr wichtige Hilfe, wie sich beim Backen herausstellt. Da schon wieder Staunen: Für meine Brötchen aus 460 g Weizenmehl und 25 g Roggenmehl soll ich nur 0,3 g Frischhefe verwenden? Weil eine derartige Mini-Menge das Vermögen einer normalen Küchenwaage unterschreitet, liefert Geißler mit den Kreisen die notwendige Schablone: Das Hefekügelchen auf den entsprechenden Kreis gesetzt – und schon ist die benötigte Menge „abgewogen“. Und das soll ein Hefeteig für „anständige“ Brötchen werden? „Das geht“, verspricht der Autor, „wenn du deinem Teig Zeit lässt. 24 Stunden Zeit bekommen alle Brote in diesem Buch, um Geschmack zu entwickeln.“ Dass Zeit die wichtigste Zutat beim Brotbacken ist, weiß ich schon – aber sooo viel Zeit? Ja, so richtig viel, wobei das Erstaunlichste ist, dass der Teig die meiste Zeit davon allein in seiner Schüssel verbringt, zugedeckt in einer Küchenecke, stört nicht, macht keinen Lärm. So entsteht bei minimalem Arbeitsaufwand ein Teig, der sich jederzeit perfekt in einem komfortablen Zeitfenster von zwei Tagen fertig backen lässt: Ich habe an einem Samstag gegen 8 Uhr alles gemischt (5 Minuten abmessen und wiegen, ca. 5 Minuten mit der einen Hand die Schüssel festhalten, mit der anderen mischen; der Teig entsteht relativ schnell ohne großen Knetaufwand), gegen 16 Uhr das erste Mal „gedehnt und gefaltet“, das zweite Mal gegen 23 Uhr (dauert jedes Mal auch nur maximal 5 Minuten). Am Sonntagmorgen gegen 8 Uhr hatte sich der vor sich hindämmernde Teig etwa verdoppelt. Das Portionieren und Formen der Teiglinge dauerte auch nicht länger als 10 Minuten. Das war’s! Das Backen geht auch von alleine; mein Ofen brauchte allerdings 25 statt 20 Minuten, bis die Brötchen die mir vorschwebende Bräune hatten. Der Einsatz von sehr wenig Hefe und die lange Reifezeit des Teigs verleihen den Brötchen einen kräftigen Geschmack und macht sie bekömmlicher als bei der üblichen Teigführung.
Alle sind Plötz: Anfänger, Einsteiger und Lehrlinge
„Brotbacken in Perfektion“ ist ein Buch für alle, die’s das erste Mal wissen wollen. „Die Reduktion auf das Wesentliche ist für gestandene Bäcker und auch für einen Experimentierer wie mich ein schmerzvoller Eingriff in die Vielfalt der Möglichkeiten“, schreibt Geißler. „Für einen, der auszog, um ohne Vorkenntnisse ein gutes Brot zu backen, ist es der beste Weg, mit der Materie in Kontakt zu kommen.“ Deshalb fehlen hier auch Rezepte mit Sauerteig. Das wäre dann schon die „höhere Schule“ des Brotbackens. Vermutlich lassen sich die vorliegenden Rezepte auch unter Zugabe von Sauerteig verändern, ich habe es noch nicht ausprobiert. Wie, warum und wann zum Beispiel ein Vorteig oder ein Quellstück angesetzt werden sollte, das erläutert Geißler und liefert auch die Rezepte dazu. Anleitungen für ein flexibleres Arbeiten und Backen gibt er jede Menge: Was ist bei einem größeren Zeitfenster zu beachten, wie können Mengenverhältnisse verändert werden, wie lassen sich Weizenrezepte auf Dinkel umbauen. Das Baukastenprinzip des Buches macht das Experimentieren oder das Entwickeln eigener Rezepturen einfach. Seine Rezepte versteht Geißler als Beispiele und Anregungen.
Als „Lehrling“ sollte man sich aber tunlichst an Geißlers Ratschläge halten: dass der Teig „Gefühl“ verlangt (also nicht nach einem Familienkrach kneten oder beim Falten ans Finanzamt denken, da ist dann nämlich die Luft rausgedrückt aus dem Teig), dass die Teiglinge kopfüber zum Gehenlassen gelagert werden oder dass eine Teigkarte unentbehrlich ist. Geißler gibt Antworten auf häufige Fragen, räumt mit Mythen auf und liefert sämtliche Grundlagen, die der Neuling braucht, angefangen von Tipps für nützliche Helfer, was gute Zutaten sind, worin sich die Mehle unterscheiden, welche Vor- und Nachteile Dinkel hat. Für die Brötchen in diesem Buch braucht man zwei Bleche und für die Brote einen gusseisernen Topf, weil das einen Backstein und das Bedampfen entbehrlich macht. Meine nächsten Projekte sind also einmal das Backen im Topf und einmal auf einem Backstein, wenn ich nun schon mal einen habe. Mal sehen, welche Unterschiede sich da offenbaren.
„Grausamkeiten in Brotform“ nennt Lutz Geißler das, was er in den ersten Wochen und Monaten seines Hobbybäckerdaseins aus dem Ofen gezogen hat – und erinnert mich damit an meine eigenen ersten, steinharten „Brocken“ (Brote waren es jedenfalls nicht), die auf dem Blech lagen. Apropos Stein: Geißler ist von Hause aus Geologe und begann 2008 mit dem Brotbacken – eher aus einer Laune heraus, um den Kopf vom geowissenschaftlichen Alltag freizubekommen. Vielleicht hat ihm die Konsistenz von Brot mehr zugesagt als die von Marmor und Granit? Jedenfalls vertiefte er sich dermaßen in die Materie, dass das Brotbacken inzwischen kein Hobby mehr, sondern Beruf und Berufung zugleich ist. Seit 2009 veröffentlicht Lutz Geißler seine Rezepte und Backergebnisse auf seinem Blog www.ploetzblog.de. Und an dieser Stelle lüftet sich das Geheimnis um Plötz: Plötz ist ein fiktiver, virtueller Bäckerlehrling, der den Blog am Anfang als Strichmännchen begleitete. Inzwischen braucht Geißler den Plötz nicht mehr als Pausenfüller, und das Männel hat das Weite gesucht. „Der Name ist geblieben, auch mein eigener Spitzname, wenn es ums Backen geht“, heißt es im Plötzblog. Der Name des Bäckerlehrlings kommt aber gar nicht aus dem Backhandwerk, sondern aus dem Bergbau, denn eigentlich war Leberecht Plötz ein 1847 bedichteter fiktiver Bergmann. „Sein etwas unbekümmerter, naiver, einfältiger, aber stets offenherziger, wissbegieriger Charakter hat sich jedoch auch im Bäckerlehrling niedergeschlagen“, so Geißler. Irgendwie sind wir doch alle ein bisschen Plötz – oder?
Quelle: ntv.de