Seit Jahrzehnten hat sich in unseren Hirnen ein Satz eingebrannt, der von der Agentur eines Konzerns erfunden wurde. Man brauchte eine schlüssige Erklärung, warum man denn nun Fleisch unbedingt „scharf anbraten“ sollte. Bei dieser Fleischbearbeitung „schließen sich die Poren“. Den Satz kennen wir alle. Ich lasse ihn noch ein bisschen wirken… Merkt jemand den Fehler und absoluten Humbug in dieser Aussage?!? 🙂
Einer der meistverbreiteten Küchenirrtümer wurde von einer Werbeagentur zu Beginn der 70er Jahre des 20. Jahrhunderts in den Köpfen verankert, um ein gehärtetes Palmfett an den Mann oder besser, an die Hausfrau zu bringen: „Das Fleisch bei hoher Temperatur scharf anbraten, damit sich die Poren schließen und damit den Saft im Fleisch einschließt!“ Selbst hochdekorierte Köche verbreiten bis zum heutigen Tag diesen Werbeunsinn eines Palmfettherstellers.
Fasern, nicht Poren
Wie wir alle mal im Biologieunterricht mal gelernt haben, hat die Haut Poren und Muskelfleisch Fasern. Da wir Steaks, Roastbeef oder Entrecôtes aber nicht wie Fisch auf der Haut braten, ziehen sich die Muskelfasern im Fleisch, wenn man sie zu großer Hitze aussetzt, ganz schnell zusammen. Das hat dann die gleiche Wirkung, wie wenn ich einen mit Wasser gefüllten Schwamm ausdrücke. Das Wasser läuft hinaus. Wenn ich den Schwamm dann zur Entspannung wieder hinlege, ist der Schwamm leer und der „Saft“ auf dem Teller. Schade eigentlich! 🙁
Viel Zeit für andere Speisen
Diese Art der Fleischzubereitung macht nicht nur das köstlichste und zarteste Fleisch überhaupt, sie ist auch noch perfekt für größere Gesellschaften, denn beim Rückwärtsbraten kümmert sich das Fleisch um sich selber, während wir uns um die Zubereitung der restlichen Speisen kümmern können.
Einmal anders herum, bitte!
Die meisten Steaks oder Bratenstücke wie Roastbeef oder Entrecôte werden immer noch zuerst in der Pfanne scharf angebraten und müssen anschließend im Backofen ruhen. Mit dem gleichen Effekt wie beim Schwamm. Beim Rückwärtsbraten funktioniert die Zubereitung genau anders herum. Das Fleisch kommt zuerst in den Backofen und wird zum Schluss in der Pfanne mit ganz heißer, brauner Butter scharf angebraten. Das ist dann aber nur für die Farbe und die Röstaromen, aber dazu später mehr.
Beim Rückwärtsbraten wird das Fleisch nicht trocken
Da Fleisch aus sehr viel Wasser besteht, kommt es bei der traditionellen Brattechnik zum permanenten Austritt des Saftes. Wenn das Fleisch anschließend nicht ausreichend ruht hat man eine trockene Schuhsohle und eine Menge Bratensaft für eine tolle Sauce, aber dass will ja niemand! Durch das langsame Garziehen im Ofen passiert das nicht, weil die Temperatur extrem niedrig ist. Erst ab 64°C verändert das im Fleisch enthaltene Eiweiß seine Struktur.
Nie über 60 Grad
Es ist wichtig, dass der Backofen beim Garen des Fleisches eine konstante Temperatur hat. Sie darf auf keinen Fall höher als 60°C sein. Ein Backthermometer sollte mit seiner Sonde in die Mitte des Fleischstücks gesteckt werden. So kann man genau sehen, wann das Fleisch fertig ist. Die meisten Backöfen sind bei Temperaturen unter 100°C ziemlich ungenau.
Keine Umluft
Das Fleisch sollte in eine flache Form gelegt werden, damit die Hitze das ganze Fleisch gleichmäßig erfassen kann. Jedes Stück, egal in welcher Größe, sollte man vorher mit den gewünschten Gewürzen (z.B. Vadouvan oder Herbes de Provence), Olivenöl, Pfeffer aus der Mühle und Salz einreiben. Den Ofen auf Ober- und Unterhitze auf etwa 60°C einstellen und die Schale mit dem Fleisch auf einem Rost auf der mittleren Schiene platzieren.
Wann ist mein Fleisch gar?
Um ein auf die Minute fertiges Stück Fleisch hinzubekommen, bedarf es nicht viel Übung. Gehen wir mal davon aus, dass die Gäste um 20 Uhr kommen, man noch einen Begrüßungsdrink nimmt und es etwa um 20.30 Uhr an den Tisch geht, dann ist man so gegen 20.50 Uhr mit der Vorspeise fertig. Um 20.00 Uhr sollte das Fleisch eine Kerntemperatur von etwa 50°C haben, denn dann kann nix mehr schief gehen. Wenn man dem Fleisch (und sich selber ganz viel Ruhe gönnt, dann schaltet man den Backofen gegen 17 Uhr an. Man sollte das Fleisch allerdings schon gegen 14 Uhr aus dem Kühlschrank geholt haben, damit es annähernd Zimmertemperatur hat und im Ofen keine plötzliche Hitzewelle den Saft nicht richtig im Fleisch verteilt. Bei den ersten Malen sollte man das Display schon ab und an beobachten, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie lange welches Fleisch braucht um auf die optimalen 52°C-53°C Kerntemperatur zu kommen.
30-40 Sekunden von jeder Seite Aromarösten
Dann fehlen noch die Röstaromen. Sie machen einen Großteil des Steakgeschmacks aus. Die Pfanne stark aufheizen, damit die Butter richtig heiß wird und dann die braune Farbe annimmt, die sie an das Fleisch abgibt. Das Fleisch in der gebräunten Butter 30 – 40 Sekunden rösten um mit der eintretenden Maillard-Reaktion die Röstaromen ins Fleisch zu bekommen. Länger sollte man das Fleisch nicht braten, denn sonst ziehen sich die Fasern wieder zu stark zusammen und der mühsam im Fleisch gehaltene Saft tritt sofort wieder aus. Ich habe seit 2 Jahren auf dem Küchenbalkon einen 800°C-Grill stehen, der innerhalb kürzester Zeit die herrlichsten Röstaromen ins Fleisch zaubert!
Direkt servieren oder ruhen lassen
Das Fleisch kann sofort aufgeschnitten werden und die einzelnen Steaks dann in kleinere Scheiben tranchiert und serviert werden. Sollte es nicht in den Zeitplan passen, kann das Fleisch auch in Alufolie gewickelt werden und im Backofen noch einige Minuten ruhen, bevor es aufgeschnitten wird.
Rückwärtsbraten auf keinen Fall für Geflügel
So schön Rückwärtsbraten für Rindfleisch oder Schweinefleisch geeignet ist, so sehr sollte man es für Geflügel lassen. Auf Grund der eventuell im Fleisch vorhandenen Krankheitserreger wie z.B. Salmonellen, sollte Geflügel grundsätzlich durchgebraten werden, denn die Erreger überleben bei Temperaturen unter 70°C.